Beschluss: 3. neXTgender - Geschlechtsbewusste Jugendarbeit

Originalversion

1 Einleitung
2 Nun hast du schon viel über Mädchen- und Jungenarbeit gehört
3 und viele Tipps, Anregungen und Methoden bekommen, wie du
4 diese in deiner Gruppenarbeit umsetzen kannst.
5 »Schön und gut«, denkst du jetzt sicher, »aber die meiste
6 Zeit verbringen die Mädchen und Jungen doch gemeinsam in
7 meinem Jugendverband und in meiner Gruppe, wie sieht es denn
8 dann da aus?«
9 Deshalb wollen wir dir in diesem Kapitel den Ansatz der
10 geschlechtsbewussten Jugendarbeit vorstellen.
11 Dazu geht es im ersten Abschnitt um die Gründe für diesen
12 Ansatz. Im zweiten Abschnitt beschreiben wir, was alles zu
13 einer geschlechtsbewussten Jugendarbeit gehört. Bevor zum
14 Schluss konkrete Praxisbeispiele für deine Gruppenarbeit
15 folgen, schildern wir noch die Prinzipien der
16 geschlechtsbewussten Jugendarbeit im dritten Abschnitt.
17
18 Gründe für eine Geschlechtsbewusste Jugendarbeit
19
20 Sozialisation
21 Wie alle hier im Buch beschriebenen Ansätze geht auch die
22 geschlechtsbewusste Jugendarbeit davon aus, dass in dieser
23 Gesellschaft den Mädchen bzw. Frauen sowie den Jungen bzw.
24 Männern je nach Geschlecht Rollen und Aufgaben sowie
25 unterschiedliche Verhaltensweisen zugeschrieben werden.
26 Andere Mädchen/Frauen und Jungen/Männer zeigen ihnen, was
27 dazu gehört, ein »richtiges« Mädchen/ein »richtiger« Junge
28 zu sein und eine »richtige« Frau bzw. ein »richtiger« Mann
29 zu werden. Dies geschieht überall, in der Familie, in der
30 Schule, im Sportverein, in der Jugendgruppe und im Beruf.
31 Heranwachsende überprüfen und hinterfragen diese Werte und
32 Normen und entwickeln daraus wiederum eigene Normen und
33 Werte.
34 In der Pädagogik gibt es für diesen, meist unbewussten,
35 Erziehungsprozess einen Fachbegriff, den du sicher schon
36 1.000 mal gehört hast, nämlich »Sozialisation«.
37 Die Sozialisation beschreibt den Prozess der Wechselwirkung
38 zwischen einzelnen Menschen (Individuen) und der Umwelt bzw.
39 Gesellschaft. Diese ist, auch wenn sie in der Kindheit und
40 in der Pubertät besonders prägend ist, nie abgeschlossen.
41
42 Rangfolge der Geschlechter
43 Zu den eben beschriebenen Geschlechterrollenzuweisungen
44 kommt eine Geschlechterrollenbewertung hinzu. Leider ist es
45 immer noch so, dass in unserer Gesellschaft alles als
46 weiblich bezeichnete eher gering und niedrig und alles als
47 männlich bezeichnete eher positiv und hoch bewertet wird.
48 Männlichkeit bzw. Mann-sein steht in der Rangfolge weit über
49 der Weiblichkeit bzw. dem Frau-sein. Das bringt eine
50 erhebliche Benachteiligung und eine mangelnde
51 Chancengleichheit für Mädchen und Frauen mit sich. So
52 bekommen Frauen z.B. viele qualifizierte Arbeitsplätze
53 nicht, weil sie aufgrund von Schwangerschaften,
54 Erziehungszeiten, Krankheit der Kinder etc. ausfallen
55 könnten. Die so genannten Frauenberufe werden so gering
56 bezahlt, dass die Frauen noch nicht einmal in der Lage sind,
57 ihren eigenen Lebensunterhalt davon zu bestreiten ... .
58 Des Weiteren gibt es zwischen den beiden
59 Geschlechterrollenzuschreibungen nur ein »entweder – oder«
60 und kein »sowohl als auch«. Jungen mit Anteilen von
61 »weiblichem Verhalten« werden deshalb oft als Weichlinge
62 oder Schwule beschimpft und Mädchen mit als »männlich«
63 bezeichneten Verhaltensanteilen als Mannweib.
64
65 Die geschlechtsbewusste Jugendarbeit baut Rangfolgen und
66 Rollenzuweisungen ab
67 In der bisherigen gemeinsamen Erziehung von Mädchen und
68 Jungen (Koedukation) wurde die Wirkung der Erziehung auf die
69 Geschlechterrollen sowie die mangelnde Chancengleichheit
70 zwischen den Geschlechtern nicht berücksichtigt. Damit trug
71 und trägt diese Erziehung immer wieder dazu bei, dieses
72 Verhältnis zwischen Mädchen bzw. Frauen und Jungen bzw.
73 Männern zu verfestigen.
74 Die geschlechtsbewusste Jugendarbeit ist sich dagegen der
75 geschlechtsbezogenen Rangfolgen und Rollenzuweisungen
76 bewusst. Sie zielt darauf ab, Rangfolgen zwischen den
77 Geschlechtern aufzuheben. Sie will stattdessen eine
78 Gleichberechtigung fördern, die Mädchen und Jungen Freiräume
79 eröffnet, sich ganz ohne einengende geschlechtsbezogene
80 Zuordnungen zu entwickeln. Sie will ein »sowohl als auch«
81 möglich machen.
82
83 Was gehört zu einer Geschlechtsbewussten Jugendarbeit?
84 Die geschlechtsbewusste Jugendarbeit hat eine politische und
85 eine pädagogische Ebene.
86
87 Die politische Ebene
88 Auf der politischen Ebene werden die Strukturen
89 (Rahmenbedingungen) deiner Organisation betrachtet. Dadurch
90 sollen Bedingungen geschaffen werden, die ein breites
91 Entwicklungs- und Einflusspotenzial für beide Geschlechter
92 ermöglichen. Dies wird ausführlich im Kapitel »Das Prinzip
93 Gender Mainstreaming« behandelt. An dieser Stelle vertiefen
94 wir ausschließlich die pädagogische Ebene.
95
96 Die pädagogische Ebene
97 Zur geschlechtsbewussten Pädagogik gehören neben der
98 Mädchenarbeit, und derJungenarbeit auch die bewusste
99 pä-dagogische Arbeit im koedukativen Rahmen, also Angebote
100 mit Jungen und Mädchen gemeinsam.
101 Alle drei pädagogischen Ansätze stehen nicht in Konkurrenz
102 zueinander, sondern ergänzen sich gegenseitig.
103 Mädchen- und die Jungenarbeit sind dir ja schon bekannt,
104 deshalb beschreiben wir im Folgenden nur die Grundlagen der
105 geschlechtsbewussten Pädagogik mit beiden Geschlechtern.
106
107 Prinzipien der Geschlechtsbewussten Pädagogik
108
109 Die Rolle der Gruppenleiter-innen
110 Als Gruppenleiter-in kommt dir eine ganz besondere Rolle zu.
111 Du bist nämlich selbst eine Frau oder ein Mann und als
112 solche-r in der Kindheit sozialisiert worden. Außerdem
113 stehst du auch weiterhin unter dem Einfluss von anderen
114 Männern und Frauen und der Umwelt.
115 Wenn du wirklich einen geschlechtsbewussten Blickwinkel in
116 deiner Gruppenarbeit einnehmen willst, musst du dich also
117 intensiv mit dir und deiner Lebensgeschichte beschäftigen.
118 Folgende Fragestellungen können dir dabei helfen:
119 Was bedeutet für dich Frau-sein/Mann-sein? Wie bist du zu
120 der Frau/dem Mann geworden, die/der du heute bist? Wer oder
121 was hat dich darin beeinflusst? Was hast du als
122 Benachteiligung erlebt, weil du ein Mädchen/Junge bist? Wie
123 gehst du auf Frauen und Männer zu?
124 Des Weiteren bist du für die Mädchen und Jungen in deiner
125 Gruppe ein Beispiel für »Mann-sein« bzw. »Frau-sein«.
126 Beschäftigst du dich nicht mit deiner Geschlechterrolle,
127 gibst du unbewusst ein klassisches überliefertes Rollenbild
128 weiter. Setzt du dich dagegen mit dir als Frau oder Mann
129 auseinander und gehst vielleicht über die Chancen und
130 Möglichkeiten hinaus, die dir zugewiesen werden, erweiterst
131 du auch die Chancen und Möglichkeiten der Mädchen bzw.
132 Jungen.
133 Doch keine Angst, du musst jetzt nicht Superman oder -woman
134 werden oder sein. Ganz im Gegenteil, erstens handelt es sich
135 dabei um einen Prozess: Du veränderst und entwickelst dich
136 unter diesen Umständen also Stück für Stück weiter und
137 lernst immer wieder neu dazu. Zweitens geht es nicht darum,
138 perfekt zu sein, sondern darum, die eigenen Grenzen und
139 Möglichkeiten bedingt, durch die Geschlechterzugehörigkeit,
140 bewusst wahrzunehmen und die bestimmt auftretenden
141 Widersprüche und Rückschläge bei der Überschreitung der
142 Grenzen für andere sichtbar und deutlich zu machen. Die
143 Mädchen und Jungen nehmen diese Widersprüche zum einen
144 sowieso wahr und ziehen ihre eigenen Schlussfolgerungen und
145 Lernerfahrungen daraus. Zum anderen merken sie aber, wenn du
146 ihnen bewusst deutlich machst, dass es nicht das »reine«
147 Bild einer Frau/eines Mannes gibt, sondern ganz viele
148 Varianten und Möglichkeiten.
149
150 Erfahrungen der Mädchen- und Jungenarbeit
151 Die Grundsätze und Qualitätsmerkmale der Mädchen- bzw.
152 Jungenarbeit fließen natürlich in die geschlechtsbewusste
153 Arbeit mit koedukativen Gruppen ein. Um diese immer wieder
154 präsent zu haben, ist ein regelmäßiger Austausch mit den
155 Gruppenleiter-inne-n der Mädchen- und Jungengruppen in
156 deinem Verband sinnvoll.
157
158 Die Zusammensetzung der Gruppen
159 Die Zusammensetzung und Leitung der Gruppen sind von großer
160 Bedeutung.
161 Reine Mädchengruppen sollten von Frauen geleitet werden,
162 reine Jungengruppen von Männern und gemischte Gruppen von
163 Frauen und Männern.
164 Sollte Letzteres nicht sofort möglich sein, musst du deine
165 Gruppe natürlich nicht auflösen. Aber vielleicht findet sich
166 ja noch eine Ergänzung in der Gruppenleitung mit dem
167 »fehlenden« Geschlecht.
168
169 Gleichwertiges und gleichberechtigtes Miteinander
170 In der geschlechtsbewussten Gruppenarbeit erhalten Mädchen
171 und Jungen die Chance, ein gleichwertiges Miteinander kennen
172 zu lernen und einzuüben. Sie lernen, unterschiedliche
173 Sichtweisen wahrzunehmen und der Verschiedenheit Platz zu
174 geben, ohne Rangfolgen aufzustellen. Sie erfahren etwas über
175 das andere Geschlecht und lernen, sich in die jeweils andere
176 Situation einzufühlen.
177 Des Weiteren bietet diese Gruppenarbeit Jungen und Mädchen
178 die Möglichkeit, Gleichberechtigung im alltäglichen
179 Miteinander zu üben. Sie können hier erproben, eigene
180 Positionen und Standpunkte einzubringen und zu verhandeln
181 und dabei eine Balance finden, weder die eigenen Standpunkte
182 völlig zurückzustellen noch andere unterdrücken zu wollen.
183 Beide Geschlechter erhalten gleichermaßen die Möglichkeit,
184 alle notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten für ein
185 selbstbestimmtes Leben zu erlernen und zu entwickeln.
186
187 Geschlechtergetrennte Phasen
188 Je nach Situation kann es sinnvoll sein, auch deine
189 koedukative Gruppe kurzzeitig nach Geschlechtern zu trennen,
190 um den Mädchen bzw. Jungen »Schutzräume« zu bieten (wenn es
191 z.B. um Sexualität und Gewalt geht oder bei Konflikten
192 zwischen den Jungen und den Mädchen). Du wirst mit der Zeit
193 ein Gespür dafür bekommen, wann das der Fall ist.
194 Wichtig ist dann, dass du dir genau überlegst, wie und wann
195 die Gesamtgruppe wieder zusammengeführt werden kann und ob
196 und wie die Untergruppen sich gegenseitig von ihren
197 Arbeitsergebnissen und Erfahrungen aus der
198 geschlechtergetrennten Phase berichten. Das ist im
199 Allgemeinen sehr Gewinnbringend für beide Seiten.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Einleitung
2 Nun hast du schon viel über Mädchen- und Jungenarbeit gehört
3 und viele Tipps, Anregungen und Methoden bekommen, wie du
4 diese in deiner Gruppenarbeit umsetzen kannst.
5 »Schön und gut«, denkst du jetzt sicher, »aber die meiste
6 Zeit verbringen die Mädchen und Jungen doch gemeinsam in
7 meinem Jugendverband und in meiner Gruppe, wie sieht es denn
8 dann da aus?«
9 Deshalb wollen wir dir in diesem Kapitel den Ansatz der
10 geschlechtsbewussten Jugendarbeit vorstellen.
11 Dazu geht es im ersten Abschnitt um die Gründe für diesen
12 Ansatz. Im zweiten Abschnitt beschreiben wir, was alles zu
13 einer geschlechtsbewussten Jugendarbeit gehört. Bevor zum
14 Schluss konkrete Praxisbeispiele für deine Gruppenarbeit
15 folgen, schildern wir noch die Prinzipien der
16 geschlechtsbewussten Jugendarbeit im dritten Abschnitt.
17
18 Gründe für eine Geschlechtsbewusste Jugendarbeit
19
20 Sozialisation
21 Wie alle hier im Buch beschriebenen Ansätze geht auch die
22 geschlechtsbewusste Jugendarbeit davon aus, dass in dieser
23 Gesellschaft den Mädchen bzw. Frauen sowie den Jungen bzw.
24 Männern je nach Geschlecht Rollen und Aufgaben sowie
25 unterschiedliche Verhaltensweisen zugeschrieben werden.
26 Andere Mädchen/Frauen und Jungen/Männer zeigen ihnen, was
27 dazu gehört, ein »richtiges« Mädchen/ein »richtiger« Junge
28 zu sein und eine »richtige« Frau bzw. ein »richtiger« Mann
29 zu werden. Dies geschieht überall, in der Familie, in der
30 Schule, im Sportverein, in der Jugendgruppe und im Beruf.
31 Heranwachsende überprüfen und hinterfragen diese Werte und
32 Normen und entwickeln daraus wiederum eigene Normen und
33 Werte.
34 In der Pädagogik gibt es für diesen, meist unbewussten,
35 Erziehungsprozess einen Fachbegriff, den du sicher schon
36 1.000 mal gehört hast, nämlich »Sozialisation«.
37 Die Sozialisation beschreibt den Prozess der Wechselwirkung
38 zwischen einzelnen Menschen (Individuen) und der Umwelt bzw.
39 Gesellschaft. Diese ist, auch wenn sie in der Kindheit und
40 in der Pubertät besonders prägend ist, nie abgeschlossen.
41
42 Rangfolge der Geschlechter
43 Zu den eben beschriebenen Geschlechterrollenzuweisungen
44 kommt eine Geschlechterrollenbewertung hinzu. Leider ist es
45 immer noch so, dass in unserer Gesellschaft alles als
46 weiblich bezeichnete eher gering und niedrig und alles als
47 männlich bezeichnete eher positiv und hoch bewertet wird.
48 Männlichkeit bzw. Mann-sein steht in der Rangfolge weit über
49 der Weiblichkeit bzw. dem Frau-sein. Das bringt eine
50 erhebliche Benachteiligung und eine mangelnde
51 Chancengleichheit für Mädchen und Frauen mit sich. So
52 bekommen Frauen z.B. viele qualifizierte Arbeitsplätze
53 nicht, weil sie aufgrund von Schwangerschaften,
54 Erziehungszeiten, Krankheit der Kinder etc. ausfallen
55 könnten. Die so genannten Frauenberufe werden so gering
56 bezahlt, dass die Frauen noch nicht einmal in der Lage sind,
57 ihren eigenen Lebensunterhalt davon zu bestreiten ... .
58 Des Weiteren gibt es zwischen den beiden
59 Geschlechterrollenzuschreibungen nur ein »entweder – oder«
60 und kein »sowohl als auch«. Jungen mit Anteilen von
61 »weiblichem Verhalten« werden deshalb oft als Weichlinge
62 oder Schwule beschimpft und Mädchen mit als »männlich«
63 bezeichneten Verhaltensanteilen als Mannweib.
64
65 Die geschlechtsbewusste Jugendarbeit baut Rangfolgen und
66 Rollenzuweisungen ab
67 In der bisherigen gemeinsamen Erziehung von Mädchen und
68 Jungen (Koedukation) wurde die Wirkung der Erziehung auf die
69 Geschlechterrollen sowie die mangelnde Chancengleichheit
70 zwischen den Geschlechtern nicht berücksichtigt. Damit trug
71 und trägt diese Erziehung immer wieder dazu bei, dieses
72 Verhältnis zwischen Mädchen bzw. Frauen und Jungen bzw.
73 Männern zu verfestigen.
74 Die geschlechtsbewusste Jugendarbeit ist sich dagegen der
75 geschlechtsbezogenen Rangfolgen und Rollenzuweisungen
76 bewusst. Sie zielt darauf ab, Rangfolgen zwischen den
77 Geschlechtern aufzuheben. Sie will stattdessen eine
78 Gleichberechtigung fördern, die Mädchen und Jungen Freiräume
79 eröffnet, sich ganz ohne einengende geschlechtsbezogene
80 Zuordnungen zu entwickeln. Sie will ein »sowohl als auch«
81 möglich machen.
82
83 Was gehört zu einer Geschlechtsbewussten Jugendarbeit?
84 Die geschlechtsbewusste Jugendarbeit hat eine politische und
85 eine pädagogische Ebene.
86
87 Die politische Ebene
88 Auf der politischen Ebene werden die Strukturen
89 (Rahmenbedingungen) deiner Organisation betrachtet. Dadurch
90 sollen Bedingungen geschaffen werden, die ein breites
91 Entwicklungs- und Einflusspotenzial für beide Geschlechter
92 ermöglichen. Dies wird ausführlich im Kapitel »Das Prinzip
93 Gender Mainstreaming« behandelt. An dieser Stelle vertiefen
94 wir ausschließlich die pädagogische Ebene.
95
96 Die pädagogische Ebene
97 Zur geschlechtsbewussten Pädagogik gehören neben der
98 Mädchenarbeit, und derJungenarbeit auch die bewusste
99 pä-dagogische Arbeit im koedukativen Rahmen, also Angebote
100 mit Jungen und Mädchen gemeinsam.
101 Alle drei pädagogischen Ansätze stehen nicht in Konkurrenz
102 zueinander, sondern ergänzen sich gegenseitig.
103 Mädchen- und die Jungenarbeit sind dir ja schon bekannt,
104 deshalb beschreiben wir im Folgenden nur die Grundlagen der
105 geschlechtsbewussten Pädagogik mit beiden Geschlechtern.
106
107 Prinzipien der Geschlechtsbewussten Pädagogik
108
109 Die Rolle der Gruppenleiter-innen
110 Als Gruppenleiter-in kommt dir eine ganz besondere Rolle zu.
111 Du bist nämlich selbst eine Frau oder ein Mann und als
112 solche-r in der Kindheit sozialisiert worden. Außerdem
113 stehst du auch weiterhin unter dem Einfluss von anderen
114 Männern und Frauen und der Umwelt.
115 Wenn du wirklich einen geschlechtsbewussten Blickwinkel in
116 deiner Gruppenarbeit einnehmen willst, musst du dich also
117 intensiv mit dir und deiner Lebensgeschichte beschäftigen.
118 Folgende Fragestellungen können dir dabei helfen:
119 Was bedeutet für dich Frau-sein/Mann-sein? Wie bist du zu
120 der Frau/dem Mann geworden, die/der du heute bist? Wer oder
121 was hat dich darin beeinflusst? Was hast du als
122 Benachteiligung erlebt, weil du ein Mädchen/Junge bist? Wie
123 gehst du auf Frauen und Männer zu?
124 Des Weiteren bist du für die Mädchen und Jungen in deiner
125 Gruppe ein Beispiel für »Mann-sein« bzw. »Frau-sein«.
126 Beschäftigst du dich nicht mit deiner Geschlechterrolle,
127 gibst du unbewusst ein klassisches überliefertes Rollenbild
128 weiter. Setzt du dich dagegen mit dir als Frau oder Mann
129 auseinander und gehst vielleicht über die Chancen und
130 Möglichkeiten hinaus, die dir zugewiesen werden, erweiterst
131 du auch die Chancen und Möglichkeiten der Mädchen bzw.
132 Jungen.
133 Doch keine Angst, du musst jetzt nicht Superman oder -woman
134 werden oder sein. Ganz im Gegenteil, erstens handelt es sich
135 dabei um einen Prozess: Du veränderst und entwickelst dich
136 unter diesen Umständen also Stück für Stück weiter und
137 lernst immer wieder neu dazu. Zweitens geht es nicht darum,
138 perfekt zu sein, sondern darum, die eigenen Grenzen und
139 Möglichkeiten bedingt, durch die Geschlechterzugehörigkeit,
140 bewusst wahrzunehmen und die bestimmt auftretenden
141 Widersprüche und Rückschläge bei der Überschreitung der
142 Grenzen für andere sichtbar und deutlich zu machen. Die
143 Mädchen und Jungen nehmen diese Widersprüche zum einen
144 sowieso wahr und ziehen ihre eigenen Schlussfolgerungen und
145 Lernerfahrungen daraus. Zum anderen merken sie aber, wenn du
146 ihnen bewusst deutlich machst, dass es nicht das »reine«
147 Bild einer Frau/eines Mannes gibt, sondern ganz viele
148 Varianten und Möglichkeiten.
149
150 Erfahrungen der Mädchen- und Jungenarbeit
151 Die Grundsätze und Qualitätsmerkmale der Mädchen- bzw.
152 Jungenarbeit fließen natürlich in die geschlechtsbewusste
153 Arbeit mit koedukativen Gruppen ein. Um diese immer wieder
154 präsent zu haben, ist ein regelmäßiger Austausch mit den
155 Gruppenleiter-inne-n der Mädchen- und Jungengruppen in
156 deinem Verband sinnvoll.
157
158 Die Zusammensetzung der Gruppen
159 Die Zusammensetzung und Leitung der Gruppen sind von großer
160 Bedeutung.
161 Reine Mädchengruppen sollten von Frauen geleitet werden,
162 reine Jungengruppen von Männern und gemischte Gruppen von
163 Frauen und Männern.
164 Sollte Letzteres nicht sofort möglich sein, musst du deine
165 Gruppe natürlich nicht auflösen. Aber vielleicht findet sich
166 ja noch eine Ergänzung in der Gruppenleitung mit dem
167 »fehlenden« Geschlecht.
168
169 Gleichwertiges und gleichberechtigtes Miteinander
170 In der geschlechtsbewussten Gruppenarbeit erhalten Mädchen
171 und Jungen die Chance, ein gleichwertiges Miteinander kennen
172 zu lernen und einzuüben. Sie lernen, unterschiedliche
173 Sichtweisen wahrzunehmen und der Verschiedenheit Platz zu
174 geben, ohne Rangfolgen aufzustellen. Sie erfahren etwas über
175 das andere Geschlecht und lernen, sich in die jeweils andere
176 Situation einzufühlen.
177 Des Weiteren bietet diese Gruppenarbeit Jungen und Mädchen
178 die Möglichkeit, Gleichberechtigung im alltäglichen
179 Miteinander zu üben. Sie können hier erproben, eigene
180 Positionen und Standpunkte einzubringen und zu verhandeln
181 und dabei eine Balance finden, weder die eigenen Standpunkte
182 völlig zurückzustellen noch andere unterdrücken zu wollen.
183 Beide Geschlechter erhalten gleichermaßen die Möglichkeit,
184 alle notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten für ein
185 selbstbestimmtes Leben zu erlernen und zu entwickeln.
186
187 Geschlechtergetrennte Phasen
188 Je nach Situation kann es sinnvoll sein, auch deine
189 koedukative Gruppe kurzzeitig nach Geschlechtern zu trennen,
190 um den Mädchen bzw. Jungen »Schutzräume« zu bieten (wenn es
191 z.B. um Sexualität und Gewalt geht oder bei Konflikten
192 zwischen den Jungen und den Mädchen). Du wirst mit der Zeit
193 ein Gespür dafür bekommen, wann das der Fall ist.
194 Wichtig ist dann, dass du dir genau überlegst, wie und wann
195 die Gesamtgruppe wieder zusammengeführt werden kann und ob
196 und wie die Untergruppen sich gegenseitig von ihren
197 Arbeitsergebnissen und Erfahrungen aus der
198 geschlechtergetrennten Phase berichten. Das ist im
199 Allgemeinen sehr Gewinnbringend für beide Seiten.

Vorschlag

  1. Bewerten Sie die Original- und die eingebrachten Versionen eines Beschlusses, indem Sie über die Pfeile Ihre Zustimmung (hoch) oder Ablehnung (runter) ausdrücken. Sie können dabei auch mehreren Versionen zustimmen oder diese ablehnen.

  2. Wählen Sie, ob Änderungen im Vergleich zur Originalversion hervorgehoben werden sollen.

  3. Sie können hier auch eine neue Version des Beschlusses einbringen.